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Im Folgenden finden Sie Leseproben aus seinen veröffentlichten
Erzählungen und Roman:
Der Anfang der Erzählung "Rosa":
Rosa
Hier ist so eine Geschichte aus der "Alten Truhe".
Ihr wißt doch noch, was es mit der "Alten Truhe" auf
sich hatte, daß es sie wirklich gab, auf einem alten Elbschiff?
Die Besitzer waren ein Ehepaar, Schiffersleute, waren viele
Jahrzehnte auf der Elbe rauf und runter "geschippert".
Die Frau hatte im Wohnbereich der Zille eine große alte Truhe, in
die sie alles tat, was sie im Moment nicht mehr gebrauchte aber
auch nicht wegwerfen wollte. Was sich da alles angesammelt hatte!
Nicht aufzuzählen! Von einer alten Sammeltasse, über einen
schönen Seidenschal zu alten, vergilbten Fotos und sogar den
Brautschuhen und dem Brief, in dem stand, daß ihr Sohn in
Jugoslawien gefallen sei, und...und. Ich werde euch nächstens
noch von wundersamen Dingen daraus berichten. Als ich die Frau
kennenlernte gebrauchte sie jedoch nur noch das Wort; denn die
alte Truhe ist auf dem Schiff geblieben bei ihrer Tochter. Dieses
Wort hatte Tante Baran - wie ich sie nennen durfte - mit an Land
genommen. Wenn ich sie fragte, woher sie zum Beispiel den
herrlichen kleinen Wandspiegel mit den Porzellanröschen als
Rahmen her hatte, den sie mir zur Hochzeit schenken wollte, dann
sagte sie: "Aus der `Alten Truhe`, und schon war alles
aufgeklärt: Sie wollte in Wahrheit die Herkunft verschweigen
Solch eine "Alte Truhe" besitze auch ich alter Mann seit
vielen Jahren - in meinem Kopf. Dort habe ich die Geschichten
hineingetan aus meiner Kinder- und Jugendzeit. Und wenn es mal
zusammentrifft, daß euch und mir nach einer solchen Geschichte
zumute ist, dann krame ich eine aus der unteren Ecke hervor.
Solch eine Geschichte ist also die von Rosa. Sie begann mit dem
Einzug eines ganz kleinen Zirkus in unser
Zweihundert-Seelen-Heidedorf im August 1948. Er nannte sich "Sarasonni",
besaß statt eines Zeltes nur eine Reihe Kisten, die im Rund
aufgestellt wurden und zwei wackelige Wohnwagen. In dem einen
wohnten die Artisten: Mann, Frau und zwei Kinder in dem Alter von
meinem Bruder und mir, also zwölf - dreizehn Jahre (die wir
beneideten); in dem anderen waren die "Requisiten"
untergebracht und die Tiere: Mäuse, ein paar dressierte Hühner,
eine Meerkatze, ein Spitz, Tauben und ein kleiner schwarzer kesser
Ziegenbock. Gezogen wurden die Wagen von je einem Pferd. Die
Bauern, die sie sahen, bezeichneten sie geringschätzig als
Klepper. Als der Zirkus ins Dorf einzog, trippelte hinter dem
letzten Wagen ein Shetlandpony her. Ein Shetlandpony ist sehr
klein, aber dieses war noch kleiner Das war für uns Kinder die
Attraktion! Es war für uns geradezu unglaublich, daß es so
kleine Pferde gab. Die Vorstellung war trotz der Erntezeit
gelungen, es herrschte Fröhlichkeit, das halbe Dorf hatte sich
auf dem Anger versammelt und nahm wie von einem kleinen Löffel
Medizin auf und sie wirkte belebend, brachte die Mäuler in
Bewegung und quirlte in der Phantasie der Kinder, die die
Zauberkunststückchen, daß Tauben verschwanden und wieder
auftauchten, daß der Spitz Handstand mit anschließendem
Überschlag konnte, daß der Ziegenbock sich allein auf einer
Wippe vergnügte, in dem er erst auf die eine, dann auf die andere
Seite rannte, dann die Kartenkunststückchen, die die Großbauern
ganz aus dem Häuschen brachten, da sie allesamt passionierte
Kartenspieler waren und anderes nicht ganz verdauen konnten, bis
wir selbst versuchten, unseren Hühnern oder Hunden ähnliche
Kunststücke beizubringen...
Am anderen Tag war der Zirkus schon in aller Frühe verschwunden.
Wir wohnten in der unmittelbaren Nachbarschaft des Angers, auf dem
der Zirkus agiert hatte in einem kleinen Haus mit einem Garten und
vier Morgen Acker und einer noch einmal so großen Wiese dahinter
in der Nähe des Angers. Als Vater früh um halb sechs Uhr sein
Fahrrad aus dem Schuppen holen wollte, sah er auf der Wiese das
Shetlandpony angepflockt. Vater war großzügig, wenn es sein
mußte und dachte sich nichts weiter dabei und radelte los. Als er
aber so ein paar hundert Meter in Richtung Stadt gefahren war, wo
er in der Ziegelei arbeitete, da machte es bei ihm
"Klick"; denn er hatte ja die Wohnwagen der Zirkusleute
gar nicht mehr gesehen. Jedoch das Pflichtgefühl siegte, er
dachte sich wohl, wenn er heimkehrte nach der Arbeit, würde sich
alles geklärt haben. Aber nichts war geklärt. Das Pony war noch
da und der Zirkus "Sarasonni" blieb verschwunden.
Vaters Liebe kam von sehr weit her, aber wen sie erreicht hatte,
der konnte sich ihrer unverrückbar sicher sein. Er benötigte
wenige Worte; seinem Blick, seiner Mimik, seiner kostbaren Ruhe
war alles abzulesen. Er stand im etwas erhöhten Eingang des
Hauses, schaute auf meinen Bruder und mich und auf das Pony
zwischen uns. Und schwieg erst einmal. Wir zappelten vor Ungeduld.
Warum war man als Kind so bedingungslos von den Entscheidungen der
Erwachsenen abhängig? Er sagte: "Na gut.", und ging ins
Haus... |
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Ein Auszug aus dem Roman
"Viertmanns absonderliches Sterben":
...
Ja, wohin wollten sie, warum marschierten sie ausgerechnet
diesen Weg zum Damm in Richtung Camp der Bauleute? Ganz
instinktiv, ohne Verabredung, in stiller Übereinkunft waren sie
in Richtung ihrer Stelle, der Roßlache hinter dem Damm gegangen.
Na klar doch! War doch eigentlich logisch, oder etwa nicht?
"Also nicht zum Camp der portugiesischen Bauarbeiter, sondern
zu Ihrer sogenannten Oase wollten Sie?", fragte später in
der Verhandlung der Anwalt der Nebenklage.
"Aber Sie wußten doch, daß dieser Platz mit den Weiden und
dem kleinen Tümpel gar nicht mehr existierte. Dort befand sich
jetzt ein Teil des Camps der portugiesischen Bauarbeiter, das
hatten Sie doch schon an anderer Stelle geschildert", mischte
sich der Staatsanwalt ein.
"Wir wären vorher abgebogen, denke ich mal, das Camp, die
Kanaken dort haben uns überhaupt nicht interessiert",
verteidigte sich Marcel.
Der Richter rügte ihn wegen des diskriminierenden Ausdrucks
gegenüber ausländischen Bürgern, belegte ihn mit einer
Geldstrafe und forderte ihn auf, ihren weiteren Weg und das
folgende Geschehen zu schildern.
"Ich kann mich nicht mehr erinnern", erklärte Marcel.
"Ich war zu besoffen."
Wieder rügte der Richter die Ausdrucksweise...
Damals trieb Marcel die Gruppe an: "Los weiter, und:
Haut´se...immer in die Schnauze rin." Sie hörten nicht auf
damit, es war keine noch so primitive Melodie mehr zu erkennen, es
war zu einem marsch-rhythmischen Geschrei geworden.
Micha war erst im Laufschritt hinter den anderen her gerannt, kam
sich aber vor Pia albern vor und forderte sie zum Warten auf.
Sie verließen die Gartenanlage, unangefochten, herausfordernd um
sich blickend mit glasigen Augen und gingen noch ein ganzes Stück
am Damm entlang in Richtung Durchstich.
Pia hatte ihnen nicht nachgeblickt. Aus und vorbei, wie schnell
so etwas geht.
Um sie abzulenken forderte Oma Regina sie auf, ihre Arbeit zu
beginnen. Dazu müßte Pia eine flache Hacke durch die Salatreihen
ziehen oder sich tief bücken und kleine unnütze Pflanzen aus der
Erde rupfen, die angeblich ein Unkraut, Nichtkraut waren. Sie
schaute zu ihrer Großmutter hin und beobachtete ihr Gesicht. Sie
wird nicht lange schweigen, dachte sie, es zerreißt sie
förmlich.
Sie nahm das Gebrüll der Truppe um Micha auf einmal nicht mehr
wahr. Eine erlösende Stille.
"Du träumst! Oder weinst du?", rief Oma Regina und
setzte im sachlichen Ton hinzu: "Was mußt du auch so
abweisend sein! Das hat kein Mann gern!" Pia fragte sie etwas
genervt: "Was verstehst du davon?" Oma Regina, eine
ansehnliche Mittfünfzigerin, war überhaupt nicht beleidigt, sie
antwortete: "Ich hab nie etwas dazu gesagt, hab gesehen und
gefühlt, hab mir gedacht, soll sie ihre Erfahrungen machen.
Schlagen heute ein wenig über die Stränge, die Burschen. Das
Beste ist dann: Nicht aufregen. Wer so herumschreit, ist harmlos.
So etwas ist wie ein Stein in einem Schuh. Der Schuh paßt, aber
der Stein reibt. Schüttest ihn einfach aus, weiter geht`s und
morgen ist alles vergessen." "Ach Oma, wie du
daherredest!", wunderte sich Pia. "Der Schuh paßt eben
nicht!", setzte sie hinzu.
"Weißt du, mein Kind, ich hab es auch erfahren. Wer
liebesfähig ist, ist auch fähig zu leiden. Also leid` ein wenig.
Hilf mir noch, dann fahren wir nach Hause und machen uns einen
schönen Abend."
Pia aber entschied diesmal für sich: "Für heute reicht es
mir. Ich fahre jetzt nach Hause. Hier gibt es doch überhaupt
nichts zu jäten!" Denn sie war nach wie vor in nicht ganz
frei von Unruhe. Sie wollte Michael Bergner an diesem Tag nicht
wieder begegnen, wenn er zurückkehrt. Eigentlich nie wieder
begegnen, dachte sie gekränkt.
Sie überblickte den Garten, auf dessen Mittelweg sie stand und
lächelte. Er war mit seinen schnurgeraden und gezirkelten Beeten,
in dem es nichts Zufälliges gab und der in seiner Makellosigkeit
geradezu schockierend wirkte, hier war "Unkraut" ein
Fremdwort; schon das Keimblatt wurde getilgt, ein Spiegelbild der
Großmutter. Was konnte man noch wissen, wenn man so geworden ist;
dachte sie und wußte, daß sie ungerecht war. Wer liebesfähig
ist, der ist auch fähig zu leiden! Ach Oma Regina, der kann nicht
leiden! Und sie blickte über den Garten hinaus und lauschte.
Nichts war zu hören, und sie verließ die Anlage. Sie wollte
gerade ihr Fahrrad besteigen, da kam ein Knirps mit einem Fahrrad
angesaust, fuhr sie beinahe um, sprang neben Pia vom Rad und rief:
"Da hinten ist vielleicht was los, da wollen welche einen
Mann verdreschen! Komm mit!" Augenblicklich waren die
vorhergehenden Erwägungen halb vergessen und sie folgte dem
Jungen. Sie war sich sicher, daß sie, wie so oft, Michael, wenn
er in Schwierigkeiten geraten war, zur Vernunft bringen kann,
vielleicht auch diesmal. Sie befürchtete, wie sie bei der zweiten
Vernehmung sagte, daß die "aufgeputschte, alkoholisierte
Truppe" jemanden provoziert und daß dies schlimm enden
könnte und war in ihren Gefühlen hin- und hergerisssen. Sie
meinte sich hineingezogen in dieses Geschehen, weil sie in der
Lage wäre, zu mindern oder zu verhindern. Sie rief in den Garten
hinein und forderte noch ein Mädchen aus dem Nachbargarten auf,
mitzukommen. Aber es schloß sich ihr niemand an. Der Spuk vor
wenigen Minuten war eine schnell vergessene Episode.
Wenige Meter vor dem Durchstich, nach einer Biegung des Dammes,
in unmittelbarer Nähe des ausgedienten Travohäuschens, standen
sie plötzlich dem sichtlich erstaunten Matias gegenüber.
Und sie sahen sofort, daß es einer von den portugiesischen
Bauarbeitern war, der wenige Schritte von ihnen entfernt
stehengeblieben war.
"Ja, was haben wir denn da?", fragte Freund Blase mehr
rhetorisch und versperrte, Paul Johannes am Arm haltend und aus
der rechten Hand den Bierkasten auf die Erde vor die Füße des
Portugiesen gleiten lassend, diesem den Weg.
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